„Wir werden ein nervöses Jahr erleben – politisch und wirtschaftlich“
Professor Dr. Schweinsberg, langjähriger Experte für Wirtschaft und (Sicherheits-)Politik, im Interview

Wenn jemand die aktuelle und zukünftige Weltlage realistisch einordnen und erklären kann, dann ist es Prof. Dr. Schweinsberg. Der langjährige Journalist (u. a. war er Chefredakteur des Wirtschaftsmagazins Capital und Herausgeber des Unternehmermagazins Impulse), Publizist (u. a. veröffentlichte er Bücher zu den Themen „Wirtschaftsethik“, „Corporate Governance“ und „Systemwandel“) und Wirtschaftswissenschaftler ist immer ganz nah dran am wirtschaftlichen, politischen, aber auch militärischen Geschehen. Als Reserveoffizier ist er zudem Dozent für Sicherheitspolitik und Strategie in der Generalstabsausbildung an der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg. Außerdem ist Prof. Dr. Schweinsberg Gründer und Geschäftsführer des Centrum für Strategie und Höhere Führung. Dieses ist ein führender Dienstleister bei Coaching, Sparring und individualisierter Fortbildung auf höchstem Niveau – für Gesellschafter, Aufsichtsräte und CEO. Wir sprachen mit dem bestens informierten und hervorragend vernetzten Spezialisten und Generalisten über die Situation in Deutschland, Europa und dem Rest der Welt.
Herr Prof. Dr. Schweinsberg, „Eine Welt der Unsicherheit“ lautet der treffende Titel Ihres Vortrags, den Sie in diesem Jahr mehrfach an Standorten der Braunschweiger Privatbank gehalten haben. Welche Hauptquellen dieser Unsicherheit sehen Sie derzeit auf globaler Ebene?
„Wir stehen am Beginn einer neuen Epoche. Bis 1989 hatten wir Post War, danach Post Wall. Seit 2025 sind wir in einer Post West Welt. Die USA haben aufgehört, die Führungsmacht des Westens zu sein. Wie sich die Kraftblöcke in der Welt, also USA, Europa, Russland und China nun sortieren, ist offen.“
Wie lauten Ihre Prognosen für das Jahr 2025?
„Wir werden ein nervöses Jahr erleben – politisch und wirtschaftlich. Die Ungewissheiten sind gewaltig, das Potential für Überreaktionen ist ebenfalls groß.“
Welche geopolitischen Konsequenzen hat die erneute Präsidentschaft von Donald Trump („Trump 2.0“) für Europa und die transatlantischen Beziehungen?
„Es ist ein Moment der Wahrheit für Europa. Europa hat keine andere Wahl als sich nach innen wie nach außen zu stärker. Wir müssen unsere Märkte intern noch deutlich weiter verschränken. Und nach außen müssen wir mit einer kraftvollen Außen- und Sicherheitspolitik auftreten. Dazu braucht es zunächst den Willen, dann die Mittel.“
Welche Rolle sollte Europa in einer möglichen neuen Phase der geopolitischen Unberechenbarkeit spielen?
„Der polnische Premierminister Donald Tusk wies neulich darauf hin, wie paradox es ist, dass wir 500 Millionen Europäer glauben, dass uns 300 Millionen Amerikaner vor 140 Millionen Russen verteidigen müssten. Europa muss sein Schicksal nun endlich selbst in die Hand nehmen. Dafür müssen wir Eskalationsdominanz entwickeln – wirtschaftlich wie militärisch. Und wir müssen an unserer Partnerrelevanz arbeiten. Egoistische Akteure wie die USA, Russland oder China sind als Partner für Indien oder Mittelmächte wie Brasilien, Südafrika, Vietnam, Indonesien nur bedingt attraktiv. Europa muss der attraktivere Partner sein.
Inwieweit sehen Sie die NATO und die EU in der Lage, auf eine veränderte US-Außenpolitik unter Trump 2.0 zu reagieren? Die NATO als Ganzes ist durch die Politik Trumps geschwächt. Das heißt aber nicht, dass einige wichtige NATO-Staaten nicht stärker werden können. Ich hoffe und setze darauf, dass sich Frankreich, Deutschland, Großbritannien, Polen zusammen mit den nordischen und baltischen Staaten ertüchtigen werden und eine Koalition der Willigen und der Fähigen bilden werden.“
Wie beurteilen Sie die aktuelle wirtschaftliche Situation in Europa, insbesondere in Deutschland, das als „kranker Mann Europas“ betitelt wurde?
„Wir haben ein Problem mit der Wettbewerbsfähigkeit. Das ist inzwischen erkannt. Es muss nun eine klare Schwerpunktsetzung geben unter dem Motto ,Alles auf Wachstum‘. Ohne Wachstum werden wir die gewaltigen Investitionen, die jetzt in Wettbewerbsfähigkeit und Verteidigung gehen müssen, nicht stemmen können. Die gute Nachricht: Europa hat das Potenzial, aber wir müssen es nun entfesseln.“
In welchem Umfang können grüne Investitionen und die Energiewende Europas Wirtschaft langfristig stärken?
„Wir sollten weg vom Green Deal denken zu einem Clean Growth-Verständnis. Wir brauchen jetzt Wachstum, vor allem möglichst sauberes Wachstum. Das ist möglich. Green-Deal-Ideologie brauchen niemand.“
Welche Rolle spielen Handelsbeziehungen mit China und den USA für die wirtschaftliche Erholung Europas?
„Sowohl China wie die USA sind wichtige Handelspartner von Europa, vor allem aber Absatzmärkte für uns. Wir müssen uns darauf einstellen, dass wir künftig weniger in beide Regionen exportieren werden. Deswegen muss der Binnenmarkt stärker werden. Gleichzeitig brauchen wir einen kraftvollen europäischen Finanzmarkt. Aktuell ist der US-Aktienmarkt so groß wie alle zehn nachfolgenden Finanzmärkte zusammen. In Europa muss mehr Sparerguthaben in Aktien fließen, damit die Unternehmen entsprechend investieren können.“
Welche Auswirkungen könnte das Wahlergebnis in Deutschland auf die Stabilität und Führungsrolle Deutschlands in der EU haben?
„Ohne eine Führungsrolle Deutschlands wird Europa die gewaltigen Herausforderungen nicht bewältigen können. Die anderen Staaten sind hoch verschuldet und haben wenig Spielraum. Die neue Regierungskoalition muss sich trauen einen großen Wurf zu machen in Sachen Investitionen in Infrastruktur und Sicherheit. Wenn hier die Summen groß genug sind, wird Deutschland automatisch Autorität in Europa zuwachsen.“