»Vertrauen und Verantwortung sind die wichtigsten Werte in Unternehmen«

Business-Coach Eva Boos erklärt im Interview mit der Braunschweiger Privatbank, warum der traditionelle hierarchische Führungsstil überholt ist und wie sich das auf die Arbeitsweise der Mitarbeiter auswirkt. Außerdem zeigt sie, wie es Führungskräften gelingen kann, eine Werte-Kultur vorzuleben und warum die Werte eines Unternehmens auch beim Recruiting eine große Rolle spielen.

Frau Boos, während früher oft der Chef das alleinige Sagen hatte, ist die Führungskraft heute eher Dienstleister an ihren Mitarbeitenden, so dass mittlerweile beide gemeinsam ihre Arbeit gestalten. Wie kam es zu dem Wandel?

Das Verständnis von Führung hat sich verändert, weil sich in vielen Unternehmen die Arbeitsweise verändert hat. Das liegt unter anderem daran, dass die Unternehmen aus der Old Economy im digitalen Umfeld wettbewerbsfähig sein wollen und müssen. Das bringt starke Veränderungen für das gesamte Unternehmen mit sich, vor allem in der Unternehmenskultur. Unternehmen sind gezwungen konkret, flexibel und schnell auf Kundenbedürfnisse zu reagieren. Das kann aber nur erfolgreich sein, wenn die Führungskräfte und Mitarbeitenden an einem Strang ziehen.

Welche Rolle spielen dabei die Werte eines Unternehmens?

Werte können dabei einen Konsens über die Art und Weise der Zusammenarbeit bilden. Das gilt intern und auch extern mit Kunden oder Dienstleistern. Werte unterstützen die Mitarbeitenden und Führungskräfte darin, in ein WIR-Gefühl zu kommen und ein gemeinsames Verständnis von etwas, über etwas zu entwickeln und zu etablieren.

Welche Werte sind in Unternehmen besonders wichtig?

Die Wertekommission und die TUM School of Management haben seit 2007 im Rahmen einer jährlichen Studie auch eine Führungskräftebefragung durchgeführt, welche Werte Führungskräfte als wichtig erachten. Dabei waren Vertrauen und Verantwortung in den letzten 15 Jahren die am häufigsten genannte Unternehmenswerte, wobei Vertrauen einen klaren Vorsprung hat. In dieser gesamten Zeit war nur einmal ein anderer Wert an erster Stelle, das war Integrität im Jahr 2014. Vertrauen und Verantwortung spielen am Arbeitsplatz also schon lange eine große Rolle.

Aus Ihrer Sicht als Business-Coach: Warum steht Vertrauen an erster Stelle?

Die Basis einer guten Zusammenarbeit ist Vertrauen. Das ist ein Kernwert. Während früher vornehmlich in sogenannten Silo-Strukturen gearbeitet wurde, verschwinden die Grenzen zwischen einzelnen Abteilungen, um eine crossfunktionale Zusammenarbeit zu ermöglichen und Ressourcen optimal zu nutzen. Wenn dabei kein gegenseitiges Vertrauen gelebt wird, funktioniert das nicht. Dann sind die Grenzen der Abteilungen zwar offen, doch Misstrauen und Machtdemonstrationen bleiben. In einer digitalen Arbeitswelt sind Freiräume jenseits eines Machtgefüges besonders wichtig. Nur so kann eine Vertrauenskultur gelebt werden, die auf Respekt, Akzeptanz, Empathie und Rücksicht beruht.

Wie unterstützen Sie Unternehmen dabei, Vertrauen und andere Werte zu leben?

Das geht nicht von heute auf morgen, sondern ist ein Prozess. Niemand kann erwarten, dass sich Strukturen, die 10, 20 oder sogar 30 Jahre Bestand hatten, nach einem 2-tägigen Kulturworkshop dauerhaft ändern. Zuallererst braucht es die Initiative, Vision und den festen Glauben an einen Wandel auf CEO- oder Geschäftsführer-Ebene. Dann ist es wichtig durch alle Bereiche im Unternehmen hindurch an den Werten zu arbeiten und zu reflektieren, mit welchen Werten die zukünftige Unternehmenskultur (er)lebbar werden soll.

Wie initiieren und fördern Sie den Prozess?

Das funktioniert sehr gut mit Team-Coaching-Workshops, sogenannten Kultur-Werkstätten und, ganz wichtig, Follow ups zur Vertiefung. Dabei wird jedem Wert ein eindeutiges Verhalten zugeordnet. Erst wenn die Formulierung über dieses Verhalten einstimmig akzeptiert ist, haben alle Shareholder im Unternehmen ein klares Verständnis dafür, wie sie diesem Wert Ausdruck verleihen können.

Viele Unternehmen visualisieren ihre Werte und hängen sie an beliebten Treffpunkten im Büro auf, so dass sie tagtäglich daran erinnert werden. Eine Alternative ist ein Value-Book, das überall ausgelegt wird. Dabei sind die formulierten Werte natürlich ein Ideal. Aber schon eine Umsetzung von 80 Prozent ist ausgesprochen gut! So gehen die Werte nach und nach in das Bewusstsein der Führungskräfte und Mitarbeiter, denn Werte sind nur dann wertvoll, wenn wir sie verwertbar machen. Außerdem sollte schon bei Neueinstellungen ein starkes Augenmerk darauf gelegt werden, welche Bewerber ins Team und zu den Werten des Unternehmens passen.

Auch bei der Braunschweiger Privatbank achten wir in jedem Bewerbungsverfahren von Beginn an, neben den fachlichen Qualifikationen, stark auf die Persönlichkeit der Bewerber. Zudem entscheiden wir im Team über jede Neueinstellung.

Das ist ein sehr guter Ansatz, weil sich darin für alle Beteiligten die beiden zentralen Werte, Vertrauen und Verantwortung, widerspiegeln. Ein guter Werte-Fit ist ein Gradmesser zwischen Unternehmen auf der einen Seite sowie den Mitarbeitern und Bewerbern auf der anderen Seite. Werte beschreiben, was einem wirklich wichtig ist. Dem Individuum geben sie häufig einen Sinn für das, was sie tun. Dabei spielt es keine Rolle, ob sich jemand in einem Konzern, einem Familienunternehmen oder einem Start up bewirbt. Ist ein guter Werte-Fit gegeben, haben beide Seiten schon mal einen Anhaltspunkt, ob sie gut zusammenarbeiten können. Das ist vielen Bewerberinnen und Bewerbern mindestens genauso wichtig wie die Arbeitsweise und das Gehalt.

Von welchen Werten und Einstellungen lässt sich die ideale Führungskraft der Zukunft leiten?

Das lässt sich nicht pauschal sagen. Das ideale Profil einer Führungskraft würde ich so skizzieren: Sie hat auf jeden Fall viel mit Menschenführung zu tun und weniger mit Managementaufgaben. Sie verhält sich professionell und authentisch, ist empathisch und fordert von ihren Mitarbeitenden Menschlichkeit. Sie weiß um ihre Werte und die des Unternehmens und richtet sich danach und erfüllt sie mit Leben. Sie ist reflektiert, gibt Impulse, schätzt ihre Mitarbeitenden, traut ihnen etwas zu und vertraut ihnen. Sie ist interessiert, motiviert und möchte zufriedene Mitarbeiter, die aufgrund ihrer Zufriedenheit das Unternehmen voran bringen. Sie entwickelt oder transportiert Visionen und sie kommuniziert auf Augenhöhe und das wertschätzend. Das sind jetzt zugegebenermaßen viele Anforderungen auf einmal, aber da halte ich es wie mit den Werten: Eine Umsetzung von 70 bis 80 Prozent ist schon ausgesprochen fortschrittlich.

Zur Person

Eva Boos ist zertifizierter Master Business Coach und Team Coach aus Berlin. In ihre Tätigkeit als Coach bringt sie ihre langjährige Berufserfahrung, auch als Führungskraft, aus der Medien- und Technologiebranche ein. Sie beschäftigt sich damit, wie die Führungsrolle in Zukunft sinnhaft gestaltet werden kann und unterstützt Unternehmen in Veränderungsprozessen wie beispielsweise im digitalen Umfeld. Ihre Website: www.evaboos.coach