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Momente, in denen die Stimmung kippt

Jakob Gaumer, angehender Meisterschüler an der HBK Braunschweig, stellt seine neuesten Arbeiten in der Ausstellung „Keep smiling – keep shining“ bis zum 13. November 2025 in den Räumen der Braunschweiger Privatbank aus. Wir unterhielten uns mit ihm.

Kreatives Chaos: Jakob Gaumer in seinem Atelier

Herr Gaumer, mit welchen Themen setzen Sie sich in Ihren Arbeiten bevorzugt auseinander und was fasziniert Sie daran?
„Fast alle meine Arbeiten handeln von Inszenierungen. Das können z. B. Inszenierungen von Glück, von Idealbildern oder von Konsumgegenständen sein. Wir sind in unserem Alltag ununterbrochen mit inszenierten Bildern – in der Werbung oder auf Social Media – konfrontiert. Waschmittel werden mit freudestrahlenden Familien beworben oder Influencer berichten, wie unfassbar gut es ihnen doch geht. Das ist nicht per se gut oder schlecht, aber das Erkennen dieser Mechanismen ermöglicht es, manches mit einem Augenzwinkern zu sehen. In meinen Arbeiten gibt es aber auch immer wieder Momente, in denen die Stimmung kippt.“

Was möchten Sie mit Ihrer Kunst beim Betrachter auslösen und bewirken?
„Meine Bilder male ich erstmal für mich. Sie sind Versuche, Fragen nachzugehen, die ich mir stelle. Anders als Werbung möchte ich von den Betrachtenden erstmal nichts. So entsteht ein Freiraum, in dem Platz für eigene Gedanken, Assoziationen oder Erinnerungen ist. Im Idealfall ergibt sich eine Art Dialog zwischen Betrachtendem und Bild – und dann vielleicht auch unter den Betrachtenden selbst. Auch Freude, Neugier, Humor oder die Erinnerung daran, nicht alles zu ernst zu sehen, sind tolle Reaktionen.“

Wie verlaufen für gewöhnlich Ihre Ideenfindungen und Ihre kreativen Prozesse ab?
„Wie die meisten habe ich mein Smartphone immer dabei. Ich fotografiere damit alles, was mir gefällt, was ich interessant oder seltsam finde und zu dem ich Assoziationen habe. Ich versuche, mit einem offenen Blick durch den Alltag zu gehen. Durch Zufall kommt man ja an die verschiedensten Orte, die hin und wieder eine Faszination auslösen. Ich war neulich z. B. im Zinnfiguren Museum Goslar. Dort gab es winzige, liebevoll bemalte Figuren in riesigen, detailreich ausgearbeiteten Dioramen. Darin wurden verschiedene geschichtliche Ereignisse dargestellt. Da kamen mir direkt Ideen für neue Bilder. Meine Fotosammlungen drucke ich mir regelmäßig aus und erarbeite daraus Zeichnungen und Collagen. Die dienen dann als Anfangsideen für neue Bilder. Während des Malens löse ich mich aber auch immer wieder von den Vorlagen und es entstehen unvorhersehbare Momente.“

Gibt es bestimmte Künstler, die Sie inspirieren und in Ihre Arbeit einfließen?
„Ich schaue mir möglichst viel Kunst an. Sowohl hier in der Region als auch an Orten, zu denen ich – manchmal auch nur wegen besonderer Ausstellungen – reise. Zuletzt haben mich besonders die Capriccio-Bilder im Herzog Anton Ulrich-Museum fasziniert. Das sind Bilder, bei denen Künstler Fantasiearchitekturen gemalt haben. Oft haben die Bilder einen Bezug zur Antike bzw. idealisieren diese. Dadurch haben die Künstler spielerisch akademische Regeln umgangen und etwas ganz Eigenes geschaffen. Besonders gerne gucke ich mir auch die Arbeiten von Amelie von Wulffen an und wie sie darin vermeintlich schwere Themen mit Humor verbindet. Auch die Vielschichtigkeit der Malerei von Kerry James Marshall, seine starke politische, antirassistische Position und die vielen kunstgeschichtlichen Bezüge in seinen Bildern – die diese gleichzeitig hinterfragen – finde ich inspirierend.“

Seit Mitte März 2025 kann man eine Auswahl Ihrer Bilder in der Braunschweiger Privatbank sehen. Was kann man hier erleben?
„Die Ausstellung heißt ,Keep smiling – keep shining‘. Diese Redewendung oder Phrase, wie sie in einem Motivationskalender stehen könnte, kann als Ermutigung verstanden werden, in schwierigen Situationen sein Lächeln zu bewahren und optimistisch zu bleiben. Das kann erstmal positiv sein, kann aber auch dazu führen, dass ein Lächeln aufgesetzt ist und nur ein Schein gewahrt wird. Für mich ist für Kunst zentral, dass nicht zwangsläufig etwas Konkretes ausgesagt werden muss, Fragen bleiben und Ambiguitäten ausgehalten werden. Das mag erstmal zurückhaltend scheinen, ist für mich aber auch eine Haltung, die ernst nimmt, dass wir in einer komplexen, vernetzten Welt leben, die sich nicht auf einfache Aussagen reduzieren lässt. Auch wenn zentrale, menschliche Wünsche manchmal dann doch ganz einfach scheinen: Friede, Freude, Eierkuchen. In diesem Spannungsfeld bzw. in diesen Ambivalenzen verorten sich die Bilder in ,Keep smiling – keep shining‘.“

Welche zentralen Themen und Motive werden bei Ihrer Ausstellung präsentiert?
„In vielen der Bilder werden kleine Geschichten erzählt. Seit meiner Diplomausstellung letzten Sommer lassen mich LEGO-Figuren als Motiv nicht los. Diese Serie führe ich gerade fort und präsentiere diese neuen Arbeiten in der Privatbank. Losgelöst von Bauanleitungen und Seriennummern entwickeln die Figuren auf meinen Bildern ein Eigenleben. Sie befinden sich oft in einer idyllischen, teils absurden, teils romantisierten Traumwelt. Meist stehen sie in einer liebevoll zugewandten Beziehung zueinander oder es ergeben sich durch Bildelemente kleine Geschichten.
Immer wieder gibt es aber auch Momente, in denen sie aufgrund ihrer Physiognomie eine gewisse Tragik verkörpern. So können sie sich gegenseitig z. B. nie wirklich an den Händen halten. Auch bei meinen anderen Bildern geht es im weitesten Sinne um zwischenmenschliche Beziehungen. Immer gerät die Inszenierung oder Vorstellung der heilen Welt aber auch ins Wanken.“

Gab es ein bestimmtes Ereignis oder eine spontane Idee, die den Ausgangspunkt für diese Ausstellung bildete?
„Die Ausstellung erstreckt sich über die Flure und Besprechungsräume der Braunschweiger Privatbank. Geschichten, die in einem Bild beginnen, können dann in anderen Räumen fortgeführt werden. Mir hat auch die Idee gefallen, dass die erstmal kindlich assoziierten Figuren die ,Erwachsenen‘ in der Bank in ihrem Alltag begleiten. Mal zurückhaltend beobachtend, mal mit einem Krach, als würde man eine Kiste Spielzeug im Konferenzraum auskippen.“

Künstler-Vita
Jakob Gaumer studiert seit 2017 Freie Kunst an der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig. Nach der Grundklasse bei Norbert Bisky, einem der wichtigsten zeitgenössischen deutschen Künstler und Vertreter der figurativen Malerei, wechselte Gaumer 2018 in die Malereifachklasse von Wolfgang Ellenrieder, Professor für Malerei und Zeichnung an der HBK. Im Rahmen eines Erasmus-Auslandssemesters studierte er zudem am Painting Department der Universitatea de Artă și Design in Cluj- Napoca, Rumänien. Jakob Gaumer, der neben seiner Malerei auch Mitglied der Künstlergruppe und Band BEZUGSGRUPPE RAINER RAUCH ist, wird Ende Oktober 2025 sein Studium als Meisterschüler – im Rahmen einer Gruppenausstellung – im Kunstverein Braunschweig abschließen. Bis zum 13. November 2025 sind neue Arbeiten von ihm, in denen er sich u. a. mit persönlichen Beobachtungen und Phänomen medialer (Über-) Inszenierung – wie sie z. B. in der Werbung und auf Social Media zu finden sind – beschäftigt, exklusiv in den Räumen der Braunschweiger Privatbank zu sehen.