„Geldanlage kann sogar Spaß machen“

Thomas Lehr, Kapitalmarktstratege bei der unabhängigen Vermögensverwaltung Flossbach von Storch, im Interview

Seine Bankausbildung absolvierte Thomas Lehr im deutschen Genossenschaftssektor, wo er anschließend mehrere Jahre als Vermögensberater tätig war. In den Jahren 2001 bis 2014 war Lehr für die Credit Suisse Gruppe als Investment Consultant und dann als Investmentstratege tätig. Seit dem Jahr 2017 ist er als Kapitalmarktstratege bei Flossbach von Storch im Einsatz. Als Experte und Redner stand Thomas Lehr kürzlich Im Rahmen des Investmentforums 2024 der Braunschweiger Privatbank auf der Bühne. Wir unterhielten uns mit ihm.
 

Herr Lehr, der Titel Ihres Vortrags beim Investmentforum der Braunschweiger Privatbank lautete: „Man kann die Zukunft nicht voraussagen, aber…“. Was sind die wichtigsten Inhalte, die Sie Ihren Zuhörern vermitteln?

„Anleger sollten sich nicht so sehr abmühen bei dem Versuch, die nächste Rezession oder den nächsten Konjunkturaufschwung vorherzusagen. Niemand kann das – niemand muss das können. Geldanlage ist weniger kompliziert, als viele glauben, und kann sogar Spaß machen. In der Ruhe liegt dabei die Kraft.“

Sie referieren und informieren als Kapitalmarktstratege über die Aktien- und Rentenmärkte. Wie sieht es dort aktuell und zukünftig aus?

„Es gibt zumindest wieder Zinsen. Die sind zwar bei weitem nicht so hoch, wie das die Älteren unter uns schon erlebt haben, aber doch hoch genug, um damit ordentlich arbeiten zu können. Und auch die Aktienmärkte sind trotz neuer Höchststände nicht so bewertet, dass mir schwindlig würde. Was die Zukunft betrifft? Die ist ungewiss.“

Sie plädieren bei Investoren für eine „konstruktive“ Anlage. Was verstehen Sie darunter?

„Die Menschen hören gerne, dass die Welt den Bach runtergeht, und das wirkt sich natürlich auf ihr Anlageverhalten auf. Die Sorge vor der nächsten Krise, dem nächsten Crash lähmt sie. Krisen hat es immer gegeben. Und es wird sie immer geben, genauso wie Börsencrashs. Schauen wir aber in den Rückspiegel, dann sehen wir, dass sich all die großen Krisen, ihre Folgen, mit der Zeit relativiert haben. Die Welt ist nicht untergegangen. Analysieren wir besser Chancen und Risiken bei der Geldanlage, statt immer nur Schwarz zu malen. Denken wir daran, dass morgen Lösungen für Probleme gefunden werden, die wir heute noch gar nicht kennen. Wer so denkt, hat gute Chancen, sein Geld „konstruktiv“ anzulegen.“

Sind die meisten Deutschen zu ängstlich und nicht risikofreudig genug, wenn es um die Vermehrung Ihres Vermögens geht?

„Die alles entscheidende Frage lautet doch: „Was verstehe ich genau unter Risiko?“ Sind es allein die Kursschwankungen? Dann kann ich sie meiden – und lande bei Festgeld oder Sparbuch. Das ist ok. 1.000 Euro bleiben dort 1.000 Euro. Aber ist es auch klug? Ich würde sagen: nein. Denn ich muss akzeptieren, dass mein Geld auf den Sparkonten auf Dauer weniger „wert“ ist – weil der Zins die Inflation nicht kompensiert. Für mich ist der schleichende Kaufkraftverlust das wahre und viel größere Risiko. So gesehen gibt kaum ein „risikofreudigeres“ Volk als die Deutschen.“

„Wirtschaft darf spannend sein, Geldanlage besser nicht“, lautet ein prägnanter Satz von Ihnen. Wie sollte die bestmögliche Geldanlage aussehen?

„Die Antwort darauf fällt höchst unterschiedlich aus. Egal ob Festgeld, ein gut gemanagter Fonds oder ein Portfolio aus selbstausgewählten Aktien und ETFs - die weit überwiegende Zahl aller Anleger strebt keine bestmögliche im Sinne von „mathematisch optimale“ Strategie an. Viel erfolgversprechender ist eine Strategie, die einen nachts ruhig schlafen lässt. Genau das erhöht die Chance, langfristig dabeizubleiben. Genau darauf kommt es bei der Geldanlage an.“

Sie beziehen sich in Ihren Aussagen auf das Buch „The Intelligent Investor“ von Benjamin Graham aus dem Jahr 1949, über das Warren Buffett, einer der reichsten Menschen der Welt, sagte: „Mit Abstand das beste Buch, das je über das Investieren geschrieben wurde.“ Was fasziniert Sie daran und was können wir noch heute von diesem Bestseller lernen?

„Ich muss Sie enttäuschen: Ich bin kein allzu großer Fan des Buches, auch wenn es viele kluge Sätze enthält und Warren Buffett sagt, es ist das Beste, das je zu dem Thema verfasst wurde. Für den normalen Anleger ist aber es sehr anstrengend, komplex und – wie ich finde – eher abschreckend. Insofern würde ich es auch niemandem empfehlen.“

Was erwarten Ihre Kunden, wenn Sie Ihnen Ihr Vermögen anvertrauen?

„Anlageziele sind verschieden. Das gilt auch für unsere Kunden. Wer sich für uns entscheidet, sucht sicherlich nicht den ultimativen Nervenkitzel. Als ich noch nicht bei Flossbach von Storch gearbeitet habe, gab es einen Satz des Unternehmens, der mich sehr angesprochen hat, aus Anlegersicht: „Risiken lassen sich nicht gänzlich ausschließen. Was man aber tun kann, ist zu versuchen, sie bestmöglich zu verstehen.“ Genau das ist es. Wer uns sein Vermögen anvertraut, kann erwarten, dass wir Krisen weitgehend unbeschadet zu überstehen. In ruhigen Phasen versuchen wir, ordentliche Renditen für unsere Anleger zu erwirtschaften, ohne zwanghaft irgendeinen Index schlagen zu wollen oder zu müssen. Letztlich sind wir da wieder bei einer Strategie, die einen nachts möglichst ruhig schlafen lässt.“

Was bedeutet Ihnen Geld bzw. macht Sie dieses glücklich?

„Vermutlich gilt für mich, was für die meisten gilt: Geld beruhigt mich. Ich leiste mir sicherlich auch Dinge, die mich glücklich machen. Wichtiger ist aber: Es gibt viel mehr Dinge, die mich glücklich machen, aber kein Geld kosten.“